Blättler & Partner

Dynamische Entwertungs- und Rückstellungsmethode:

Ein praxisnaher Ansatz

 

Die Immobilienbewertung stellt hohe Anforderungen an die Genauigkeit und Praxisnähe der angewendeten Methoden. Meine bevorzugte Herangehensweise, die dynamische Entwertungs- und Rückstellungsmethode, kombiniert eine detaillierte bautechnische Analyse mit einer komponentenbasierten Bewertung. Diese Methode berücksichtigt sowohl die individuellen Eigenschaften einer Immobilie als auch ihre Nutzung, Konstruktion und Marktbedingungen – ein Ansatz, der insbesondere bei Unikaten wie Schweizer Immobilien unverzichtbar ist.

Die Dynamische Entwertungs- und Rückstellungsmethode: Kernprinzipien

1. Zerlegung nach BKP (dreistellige Positionen)

Jede Immobilie wird anhand des Baukostenplans (BKP) in Bauteilgruppen zerlegt, z. B. Rohbau, Dach, Fenster oder Elektro. Diese Aufteilung erfolgt prozentual, wobei die Gewichtung je nach Gebäudetyp und Konstruktion variiert. Ein Bürogebäude hat eine andere Kostenstruktur als ein Einfamilienhaus, und genau hier setzt die Expertise des Gutachters an.

2. Berücksichtigung von Lebensdauer und Alter

  • Lebensdauer: Jede Bauteilgruppe hat eine spezifische Lebenserwartung (z. B. Fenster: 40 Jahre, Dach: 50 Jahre). Diese wird anhand von bautechnischen Standards und Erfahrungswerten bestimmt.
  • Alter: Das tatsächliche Alter der Bauteile wird mit der Lebenserwartung verglichen, um den Abnutzungsgrad und die verbleibende Nutzungsdauer zu bestimmen.

3. Dynamische Entwertung

Im Gegensatz zur linearen Abschreibung berücksichtigt die dynamische Entwertung, dass die Wertminderung in späteren Nutzungsjahren oft langsamer erfolgt. Dies wird durch flexible Abzinsungsraten und anpassbare Parameter modelliert.

Ein wichtiger Grenzwert

Wenn die Entwertung eines Gebäudes 65 % übersteigt, gilt es in der Regel als nicht mehr bewohnbar. Dieser Wert ist ein entscheidender Indikator für die Notwendigkeit umfassender Sanierungsmaßnahmen oder sogar für die Planung eines Abrisses und Neubaus.

4. Rückstellungsberechnung

  • Individuell je Bauteilgruppe: Rückstellungen werden für jede Bauteilgruppe separat berechnet, basierend auf dem Neuwert, dem Abnutzungsgrad und den voraussichtlichen Ersatzkosten.
  • Berücksichtigung des Zinssatzes: Die jährlichen Rückstellungen werden bis zum Ende der Lebensdauer abgezinst, um eine realistische Finanzierung sicherzustellen.

Warum ist bautechnisches Know-how unverzichtbar?

Die Anwendung der dynamischen Methode setzt fundiertes Wissen im Bauwesen voraus. Gutachter müssen:

  • Die Bauteilgruppen und deren Anteile korrekt definieren, was je nach Gebäudetyp unterschiedlich ist.
  • Die Lebenserwartung und Abnutzung realistisch einschätzen.
  • Konstruktive Besonderheiten und individuelle Eigenschaften von Unikaten berücksichtigen.

Immobilien sind keine standardisierten Produkte – sie sind Unikate. Die Methode passt sich dieser Realität an und ermöglicht eine maßgeschneiderte Bewertung, die den tatsächlichen Gegebenheiten gerecht wird.

Herausforderungen bei der Herleitung von Rückstellungen

1. Kostensteigerungen und Zinsvolatilität

In der Theorie wird angenommen, dass Rückstellungen mit steigendem Basiszins sinken, da zukünftige Kosten stärker abgezinst werden. Doch die Praxis zeigt:

  • Bau- und Instandhaltungskosten steigen unabhängig vom Zinsniveau.
  • Der Zins schwankt, Baukosten bleiben stabil. Eine rein zinsbasierte Strategie führt oft zu Fehlbewertungen.

2. Verkürzte wirtschaftliche Lebensdauer

  • Technischer Fortschritt: Anforderungen an smarte Haustechnik, Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge oder neue digitale Standards (WLAN, TV-Verkabelung) machen ältere Gebäude schneller unattraktiv.
  • Regulatorische Anforderungen: Strengere Energieeffizienzrichtlinien, neue Brandschutzvorschriften oder Barrierefreiheit können Sanierungen früher notwendig machen.
  • Marktanforderungen: Homeoffice-taugliche Wohnungen oder flexible Gewerbeflächen verdrängen klassische Raumkonzepte.

Die richtige Aufteilung von Rückstellungen

1. Laufende Betriebskosten & Instandhaltung (kurzzyklisch, <5 Jahre)

  • Hauswartung, Energie, Reinigung
  • Wartung technischer Anlagen (Heizung, Aufzüge, Entwässerung)
  • Kleinreparaturen
  • Finanzierung aus dem laufenden Betrieb

2. Instandsetzungen & Modernisierungen (mittelzyklisch, 5-15 Jahre)

  • Austausch von Küchengeräten, Bodenbelägen
  • Malerarbeiten bei Mieterwechsel
  • Fassade, Fenster, Dachinstandsetzungen
  • Notwendige Rückstellungen zur Vermeidung von Sanierungsstau

3. Großzyklische Erneuerungen (langfristig, >15 Jahre)

  • Vollständige Sanierung, Umnutzung
  • Integration neuer Haustechnik
  • Photovoltaikanlagen, Ladeinfrastruktur für E-Mobilität
  • Finanzierung durch Rückstellungen oder Kredit, sofern die Liegenschaft nicht überhöht verschuldet ist

Fazit: Strategie statt starre Modelle

Die dynamische Entwertungs- und Rückstellungsmethode bietet eine praxisnahe und realistische Grundlage für die Immobilienbewertung. Sie berücksichtigt die individuellen Eigenschaften von Gebäuden, die Abnutzung der Bauteilgruppen und die tatsächlichen Marktbedingungen.

Nur durch eine Kombination aus finanzmathematischem Know-how, bautechnischer Expertise und strategischer Betrachtung lässt sich eine fundierte Bewertung sicherstellen. Denn Immobilien sind keine standardisierten Produkte – sie sind Unikate. Und genau das macht die Herausforderung und den Reiz der Bewertung aus.

Peter Blättler