«Die Herausforderungen bei der Herleitung von Rückstellungsraten und Bewirtschaftungskosten zeigen sich bei jeder Bewertung»
– und sind so alt wie das Bewerten selbst.
In der Schweiz sind die allermeisten Immobilien Unikate – und das sollte sich auch in der Ableitung dieser Werte widerspiegeln. Neben finanzmathematischem Know-how sind bautechnisches Verständnis, eine architektonische Affinität und ein Gespür für gesellschaftspolitische Entwicklungen essenziell. Denn nicht nur der Zustand einer Immobilie, sondern auch ihr Kontext beeinflusst die Werthaltigkeit. Ein Gebäude kann technisch einwandfrei sein, aber am falschen Ort stehen – oder umgekehrt: das richtige Objekt am falschen Standort. Diese Faktoren spielen eine wesentliche Rolle bei der wirtschaftlichen Entwertung und müssen in der Bewertung mitberücksichtigt werden.
Eng damit verknüpft ist die Strategie des Eigentümers und eines potenziellen Käufers – sie bestimmt, wie ein Objekt genutzt, instand gehalten oder weiterentwickelt wird. Eine gründliche Besichtigung des Objektes bleibt dabei unverzichtbar, um nicht nur den aktuellen Zustand zu erfassen, sondern auch das Potenzial für künftige Anpassungen richtig einzuschätzen.
Neben dem Basiszinssatz ist die gewählte Methodik für die Entwertung sowie die Berechnung der künftigen Rückstellungen entscheidend. Genau hier spielen das schätzerische Ermessen, die Erfahrung und die Fähigkeit des Bewerters, die Erstellungskosten und die restliche Lebensdauer einzelner Bauteilgruppen realistisch einzuschätzen, eine zentrale Rolle. Dies muss stets im Hinblick auf die Sanierungs- und Unterhaltsstrategie sowie auf die nachhaltige Sicherung der Mieteinnahmen erfolgen, um eine nachvollziehbare Gesamtbewertung des Objektes zu gewährleisten.
Besonders komplex wird die Bewertung bei kommerziell genutzten Objekten, wenn der Mieterausbau separat vom Mieter finanziert wurde. Neben der technischen Entwertung spielt hier die wirtschaftliche Entwertung eine zentrale Rolle – je nach Nutzungskonzept kann ein hochwertiger Ausbau den Wert kurzzeitig steigern, aber langfristig auch schnell überholt sein. Werterhaltung und Rückstellungsbedarf hängen stark von der künftigen Nutzungsperspektive ab.
Gerade hier stossen hedonische Bewertungsmethoden an ihre Grenzen. Sie basieren auf statistischen Modellen und Durchschnittswerten, die individuelle Gegebenheiten wie bauliche Anpassungen, spezifische Nutzungskonzepte oder strategische Eigentümerentscheidungen nicht adäquat berücksichtigen können. Während hedonische Modelle bei standardisierten Wohnimmobilien eine grobe Orientierung bieten, sind sie für komplexe, individuell gestaltete Liegenschaften oft unzureichend.
Zudem können hedonische Modelle gesellschaftspolitische Entwicklungen nicht sinnvoll abbilden. Veränderungen in der Stadtplanung, neue Regulierungen zur Verdichtung und die Erhöhung der zulässigen Nutzungen können dazu führen, dass die wirtschaftliche Lebensdauer eines Gebäudes erheblich verkürzt wird – selbst wenn es baulich noch in gutem Zustand ist. Ein Gebäude, das heute noch als optimal genutzt gilt, kann morgen schon aufgrund einer geänderten Planung oder höherer Ausnutzungsziffern als untergenutzt betrachtet werden. In solchen Fällen geht die Wertminderung nicht von der technischen Substanz aus, sondern von der veränderten Markt- und Nutzungsperspektive.
Eine fundierte Bewertung muss daher über rein statistische Modelle hinausgehen und sowohl die aktuelle als auch die zukünftige Markt- und Nutzungsperspektive mit einbeziehen.
Ein oft unterschätzter, aber wesentlicher Faktor für die Bewertung und die langfristige Werterhaltung eines Objekts sind die Betriebs- und Unterhaltskosten.
Werden sie nur in Abhängigkeit vom Mietwert berechnet, kann dies in der Praxis zu erheblichen Verzerrungen führen – insbesondere, wenn Unterschiede in den Lagen und individuellen Nutzungskonzepten nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Analyse der tatsächlichen Betriebs- und Unterhaltskosten der letzten Jahre ermöglicht eine realistischere Einschätzung der langfristigen wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Objekts und zeigt auf, ob eine nachhaltige Bewirtschaftung tatsächlich gegeben ist.“
Fazit:
Die Bewertung von Immobilien und insbesondere das Berechnen von Rückstellungen und der Entwertung erfordert weit mehr als nur mathematische Modelle und standardisierte Methoden. Während hedonische Modelle eine erste Orientierung bieten können, sind sie in vielen Fällen nicht ausreichend, um die komplexen wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Faktoren eines Objekts realistisch abzubilden.
Nur durch eine Kombination aus fachlicher Erfahrung, schätzerischem Ermessen und einer strategischen Betrachtung der individuellen Rahmenbedingungen lässt sich eine fundierte, zukunftsorientierte Bewertung sicherstellen. Denn am Ende sind Immobilien keine standardisierten Produkte, sondern einzigartige Wirtschaftsgüter – und genau das macht die Herausforderung und den Reiz der Bewertung aus.
Peter Blättler